Von Franz Hartmann
Im Jahre 1875 fanden sich in New-York einige Personen in angesehener
Stellung zusammen, um ihre Meinungen in Bezug auf die höheren Probleme der
Menschheit, welche die Denker aller Nationen seit urdenklichen Zeiten beschäftigt
haben und auch ferner beschäftigen werden, auszutauschen. Die Mehrzahl
derselben hatte vergeblich im modernen Kirchentum nach einer höheren Erkenntnis
gesucht. Manche davon hatten sich dem Studium des damals zum „guten Ton“ gehörigen
materialistischen Rationalismus gewidmet und, um mit Goethe zu sprechen, „mit eifriger
Hand nach Schätzen gesucht, aber nur Regenwürmer gefunden“. Andere hatten sich in
ihrem Drange nach handgreiflichen Beweisen von einer Fortdauer der Seele nach
dem Tode des Körpers dem Spiritismus in die Arme geworfen, aber auch hier nach
jahrelangem, mühseligem Forschen grosse Enttäuschungen erfahren; denn die Mitteilungen
der angeblichen Geister der Verstorbenen waren entweder von so untergeordneter Art,
dass sie ein derartiges, mit dem Verluste der Intelligenz verbundenes Fortleben
als einen bejammernswerten Zustand erscheinen liessen, oder in den Fällen, in
denen diese Mitteilungen einen Grad von annehmbarer Intelligenz aufwiesen,
liess sich die Quelle derselben in ganz anderen Ursachen, als in dem Verstande der
„Abgeschiedenen“ finden.
Unter den betreffenden Personen befand sich auch eine russische Dame,
namens Helene Petrowna Blavatsky, eine geborene Hahn. Diese Dame hatte grosse
Reisen im Kaukasus, in Turkestan, Indien und Ägypten gemacht, viel von Dingen gesehen,
von denen sich die europäische Schulweisheit nichts träumen lässt, und in ihren
metaphysischen Studien hatte sie manche Geheimnisse entdeckt oder war darin von
den Eingeweihten unterrichtet worden. Ausserdem besass sie eine eigentümliche
psychische Organisation und Willenskraft, welche es ihr ermöglichte, die von
den Spiritisten angestaunten „unerklärlichen“ Wunder aus eigener Kraft und nach
Belieben hervorzubringen und dadurch die natürlichen Erklärungen, welche sie
darüber gab, zu bestätigen.
Unter diesen Umständen ist es nicht zu verwundern, dass sich H. P.
Blavatskys Ruf, auch ohne dass sie darnach verlangte, verbreitete, und dass
Gelehrte aus allen Kreisen dieser Vereinigung zuströmten, welche „Theosophische
Gesellschaft“ genannt wurde und zu ihrem Präsidenten einen amerikanischen Oberst,
Col. Henry S. Olcott, erwählte. Der Name „theosophische“ anstatt „philosophische“
Gesellschaft wurde aber, wie es scheint, deshalb gewählt, weil die Mitglieder
derselben beabsichtigten, sich nicht mit einer bloss theoretischen Spekulation
in Bezug auf die der Menschennatur innewohnenden Seelenkräfte zu begnügen,
sondern, durch Ausübung derselben eigene praktische Kenntnis derselben zu erlangen.
Diese Selbsterkenntnis der eigenen inneren Natur gehört aber mit Recht in das
Gebiet der Gotteserkenntnis oder Theosophie.
Was Helene Petrowna Blavatsky und das ihr, infolge ihrer humanitären
Bestrebungen zu teil gewordene moderne wissenschaftliche Martyrtum betrifft, so
werden wir in einem folgenden Hefte darauf zurückkommen. Für heute genügt es
uns, das Schicksal der „theosophischen Gesellschaft“ zu verfolgen.
Unter den Mitgliedern, welche dieser Vereinigung zuströmten, befanden sich
Wahrheitssucher aus allen Kreisen, Gelehrte und Ungelehrte, christliche Geistliche,
jüdische Rabbiner, Philosophen aller Art und auch viele, welche bloss die Neugierde
angelockt hatte; denn da von keinem Glaubensartikel die Rede war, von keinem
Meister, „auf dessen Worte man schwören musste“, so waren Meinungsdifferenzen kein
Hindernis zum Beitritt, und jeder hatte das Recht, seine eigenen Ansichten geltend
zu machen und die andern, wenn es ihm gelang, zu überzeugen, wie dies auch
heutzutage in dieser Gesellschaft der Fall ist. In der That wichen die Meinungen
der Mitglieder weit von einander ab. Wie aber z. B. in einer „geographischen
Gesellschaft“ die Mitglieder darüber verschiedener Meinung sein können, wo die
Quellen des Nils zu suchen seien, während doch alle darüber einig sind, dass
der Nil einen Ursprung hat, ebenso waren und sind alle Mitglieder der „theosophischen
Gesellschaft“ darüber einig, dass jedes Dasein einen Grund, eine Ursache haben
müsse. Diese Ursache zu finden, war und ist die Aufgabe nicht bloss der
Mitglieder der „theosophischen Gesellschaft“, sondern eines jeden vernünftigen
Menschen, und wenn einzelne unter uns im Verlaufe ihrer Untersuchungen einen besseren
Leitstern dabei gefunden haben, als Darwin und Haeckel oder die moderne Theologie,
so sind sie deshalb gewiss nicht zu beklagen.
Während der neue Verein in Amerika an Kräften zunahm und sich das Publikum,
welches für die den „okkulten Phänomenen“ zugrunde liegende Philosophie kein
Verständnis hatte, mit den „Wundern“ beschäftigte, die man sich von H. P.
Blavatsky erzählte, wobei letztere einerseits von den Abergläubischen mit abgöttischer
Verehrung betrachtet, andererseits von den Unverständigen als „Betrügerin“
verschrieen wurde, betrieben die Gründer des Vereins eine lebhafte Korrespondenz
mit Indien, dem Lande der Geheimnisse und „Wunder“, u. a. mit dem Arya Samaj
und dem bekannten Swami Daganand, welcher in Indien damals eine Rolle spielte, vergleichbar
zu Luthers Reformation in Europa. Zweiggesellschaften wurden in Indien und
Ceylon gebildet, hervorragende Buddhisten und Brahminen beteiligten sich, und
da es sich bald zeigte, dass Indien der Platz sei, um sich litterarische
Schätze und Kenntnisse über eine Wissenschaft zu holen, von der die Gelehrten
des Westens erst jetzt das A-B-C zu lernen beginnen, so wurde das Hauptquartier
der „theosophischen Gesellschaft“ im Jahre 1878 nach Bombay verlegt, nachdem
sich während dieser Zeit auch Zweiggesellschaften in verschiedenen Teilen Europas
gebildet hatten.
In Indien wurde die „amerikanische Delegation“, wie man sie nannte, mit
grossem Jubel empfangen. Wie vor alten Zeiten die Juden nicht begreifen konnten,
dass das Reich Christi nicht von dieser Welt sei, sondern von ihm erwarteten, dass
er als ein König der Israeliten der römischen Herrschaft ein Ende machen werde,
so glaubte auch das gemeine Volk in dem amerikanischen Obersten einen Befreier
zu sehen, welcher die Herrlichkeit Aryavarthas wieder herstellen würde, ein
Umstand, um den sich Col. Olcott sicherlich keine grossen Illusionen machte.
Dieser Erwartung ist es vielleicht zuzuschreiben, dass sich eine Menge
hervorragender Rajas und Brahminen mit grossem Enthusiasmus an der Sache
beteiligte. Aber auch wirkliche Yogis, welche den wahren Zweck der Gesellschaft
erkannten, beteiligten sich; es fand eine nie vorher dagewesene Verbrüderung
zwischen Indiern und Europäern statt, und die Folge davon war, dass die
Mitglieder der Gesellschaft zu Heiligtümern Zutritt erlangten, welche früher
für das Auge aller Europäer hermetisch verschlossen waren, und eine Menge von
Manuskripten kam zum Vorschein, nach denen unsere profanen Gelehrten früher
vergebens gesucht und sogar deren Dasein bezweifelt hatten. Nach einiger Zeit
wurde das Hauptquartier nach Adyar, einer Vorstadt von Madras, verlegt, wo sich
dasselbe auch jetzt noch befindet.
Da durch die Thätigkeit der „theosophischen Gesellschaft“ die denkenden
Klassen unter den Indiern, auch ohne dass man sie dazu aufforderte, beeinflusst
wurden, über sich selbst und über die allen Religionen zugrunde liegende Wahrheit
nachzudenken, so ist es begreiflich, dass dieses Selbstdenken den protestantischen
Missionären ein Dorn im Auge war. Wie in Amerika H. P. Blavatsky von den Spiritisten
angefeindet wurde, weil sie deren liebste Illusionen zerstörte, indem sie den
spiritistischen Geistern die Maske entriss und dieselben in ihren wahren Gestalten
vorführte, so lud sie nun den tödlichen Hass der christlichen Missionäre auf sich,
indem sich die Zahl der Proselyten derselben und das Einkommen der Kirche in demselben
Grade verringerte, als die „Heiden“ einsahen, dass man das wahre Christentum nur
in sich selber finden könne, und dass ohne diese innerliche Erkenntnis ein
äusserlicher Religionswechsel nur Betrug, Heuchelei und Verstellung sei.
Wenn auch Col. Olcott der äusserliche Leiter der Gesellschaft war, so war
doch H. P. Blavatsky die Seele derselben, und es galt daher vor allem, ihren
Charakter zu ruinieren, um der Gesellschaft beizukommen, denn die Verfassung
der letzteren enthielt durchaus nichts, an dem selbst der spitzfindigste Advokat
etwas zu bemäkeln hätte finden können, da ihre ganze Grundlage die praktische
Anerkennung allgemeiner Menschenrechte, die bereits überall theoretisch anerkannt
sind, und die Beförderung wissenschaftlicher Untersuchungen ist. Als daher im
Jahre 1883 H. P. Blavatsky zusammen mit Col. Olcott auf Besuch in Europa waren,
hielten die Missionäre den geeigneten Augenblick für gekommen, um der „theosophischen
Gesellschaft“ einen längst vorbereiteten tödlichen Streich zu versetzen, und
nachdem sie ein Ehepaar namens Coulomb, das am Hauptquartier bedienstet war,
für sich gewonnen hatten, veröffentlichten sie eine Reihe von teils gekauften,
teils gefälschten Dokumenten, in welchen sich H. P. Blavatsky über die
Leichtgläubigkeit von verschiedenen ihrer hervorragenden Bewunderer lustig macht.
Sie rechneten dabei nicht mit Unrecht darauf, dass sich diese Bewunderer, in
ihrer Eitelkeit gekränkt, von H. P. Blavatsky lossagen und gegen die
Gesellschaft kehren würden. Aber die Sache kam anders.
Als Col. Olcott und H. P. Blavatsky von Indien abreisten, wurde ein Verwaltungsrat
für die „theosophische Gesellschaft“ bestellt, als dessen Vorsitzender der
Schreiber dieser Zeilen fungierte. Zufälligerweise (?) erhielten wir Kenntnis
von den Machinationen der Missionäre, und so kam es, dass an demselben Tage, an
welchem diese ihre Bombe platzen liessen, die Antwort darauf auch schon gedruckt
war.
Veranlassung zu den Verfolgungen, denen H. P. Blavatsky vielfach ausgesetzt
war, gaben die „okkulten Phänomena“, welche teils von ihr willkürlich
hervorgebracht wurden, teils in ihrer Gegenwart und teils auch während ihrer Abwesenheit
stattfanden. Für sie waren die Gedanken der Anwesenden ein offenes Buch, und es
schien, als ob sie, wie es in den Legenden verschiedener Heiligen zu lesen ist,
imstande wäre, sich geistig an entfernte Orte zu versetzen. Ausserdem stand sie
mit anderen Personen in Indien und Tibet in Verbindung, welche ähnliche und
noch höhere Kräfte besassen, um in die Ferne zu wirken, und so kam es denn,
dass von uns auch während ihrer Abwesenheit in Europa, bei besonderen
Gelegenheiten, wenn irgend ein Rat nötig war, Briefe, von unsichtbarer Hand geschrieben,
uns zukamen, welche die betreffenden Ratschläge oder Aufklärungen enthielten u.
dergl. Solche Phänomene fanden nicht statt zu dem Zwecke, uns in Erstaunen zu
setzen, wenn wir derartige Briefe erhielten; so war es nicht zu dem Zwecke, um
zu beweisen, dass man durch Kräfte, welche der europäischen Wissenschaft noch unbekannt
sind, Briefe schreiben könne; sondern, wie jeder andere Brief, hatten auch diese
nur den Zweck, uns von irgend etwas in Kenntnis zu setzen, das für uns von
Interesse war. Aber der gelehrte und ungelehrte Pöbel in England und Amerika
konnte in solchen okkulten Ereignissen, deren Vorkommen leider nicht
verheimlicht wurde, nichts weiter sehen, als einen Versuch, auf die Leichtgläubigkeit
des Publikums zu spekulieren, und aus der Einmischung Auswärtiger in Dinge, welche
ihn durchaus nichts angingen, entstand ein neuer Anlass zur Verfolgung von H.
P. Blavatsky.
Infolge der Prahlsucht oder des blinden Enthusiasmus einiger Mitglieder der
„theosophischen Gesellschaft“ hatte nämlich die bekannte „Society for Psychical
Research“ in London, welche die Untersuchung von Spukgeschichten zum Zweck
ihres Daseins hat, von diesen Phänomenen gehört, und da sie dieselben mit
spiritistischen Narrheiten verwechselte, so entsandte dieser Verein einen jungen
Mann als „Sachverständigen“ nach Indien, um die Sache zu untersuchen. Dies ist
ungefähr geradeso, als ob der verehrte Leser dieser Zeilen zu mir nach Wien kommen
wollte, um sich zu überzeugen, dass mein Vetter in Amerika, von dem ich mitunter
Briefe zu erhalten vorgebe, wirklich existiert und dass seine Briefe wirklich
von ihm selber geschrieben sind. Da würde es doch vor allem nötig sein, dass
der Vetter aus Amerika selber hierher käme, um dem Sachverständigen seine
Identität zu beweisen.
Aber der „Vetter aus Amerika“ kam nicht, um die Neugierde des Herrn aus London
zufrieden zu stellen, der „Sachverständige“, der von der ganzen Sache nichts
verstand, sah seine Mission gescheitert; da er aber wohl oder übel einen
Rapport über seine Sendung machen musste, um sich nicht blosszustellen, so
schrieb er ein Buch über die Dinge, von denen er nichts gesehen hatte, stellte
darin seine selbst erfundenen Theorien auf, wie diese Dinge vielleicht hätten gemacht
werden können, und wie er sich vorstellte, dass sie gemacht worden sind. Dieser
Rapport wurde von der betreffenden „Gespensteruntersuchungsgesellschaft“ angenommen
und H. P. Blavatsky als „die grösste Betrügerin dieses Jahrhunderts“ erklärt,
ohne dass ihr aber diese Erklärung in den Augen derjenigen, welche sie
persönlich kannten, irgend etwas geschadet hätte.
Was aber diese vielgenannten okkulten Phänomene betrifft, so ist hier nicht
die Stelle, darauf näher einzugehen. Würde man einem ungebildeten Bauern, der
von Chemie absolut nichts versteht, eine Reihe von chemischen Experimenten
zeigen, so würde er dieselben für Betrug und Taschenspielerei halten. Der grösste
Gelehrte Europas aber steht diesen okkulten Phänomenen gegenüber wie ein ungebildeter
Bauer, weil die moderne Wissenschaft von der Seele und ihren Kräften so viel
wie nichts weiss. Erst wenn man die Gesetze der Chemie studiert hat, sind die chemischen
Experimente verständlich. Erst wenn man die Gesetze der in der Menschennatur schlummernden
Seelenkräfte kennen gelernt hat, kann man ihre sichtbaren Wirkungen begreifen. Was
man heutzutage „Hypnotismus“ nennt, was aber schon längst Theophrastus
Paracelsus und den Alten bekannt war, ist nur die Einleitung zu dieser höheren
Naturwissenschaft.
Durch alle Zeitungen der Welt tobte der Kampf um die Entscheidung, ob H. P.
Blavatsky eine Betrügerin sei oder nicht. Man durchstöberte die von ihr
geschriebenen Romane, um auszufinden, ob die darin auftretenden Personen
wirklich existiert hätten oder nicht, und jubilierte, wenn man in ihnen etwas
fand, das erfunden war. Man befand sich dann in der Lage jenes Hinterwäldlers,
welcher zum ersten Male ins Theater kam und sich dann für beschwindelt hielt, da
es ihm gelungen war, auszufinden, dass die Häuser auf der Bühne bloss aus
Pappendeckel gemacht seien, und dass die Schauspieler in der Komödie sich bloss
so stellten, als hätten sie wirklich geheiratet.
Blicken wir heute auf jene Vorgänge zurück, so können wir uns des Lachens
nicht erwehren, damals aber hatte die Sache ihre ernsthafte Seite. Jetzt ist H.
P. Blavatsky tot und die von den ersten amerikanischen Journalen gegen sie
ausgestreuten Verleumdungen sind widerrufen;*) ein Beispiel, dessen Nachahmung
verschiedenen deutschen Journalen zu empfehlen wäre. Alle diese Verfolgungen
waren direkt gegen H. P. Blavatsky und nur indirekt gegen die mit ihr unzertrennlich
verbundene „theosophische Gesellschaft“ gerichtet; denn, was man auch immer an
einzelnen Mitgliedern dieses Vereins, welche ja alle nur Menschen und mit
menschlichen Schwächen behaftet sind, aussetzen mag, an den Grundsätzen dieser
Gesellschaft ist nichts zu tadeln, da sie als ihr Höchstes die Wahrheit erkennt.
Alle gegen H. P. Blavatsky gerichteten Verfolgungen konnten somit dem
Fortschritt der „theosophischen Gesellschaft“ keinen Eintrag thun, im
Gegenteil dienten sie dazu, den Ruf derselben über die ganze Welt zu verbreiten.
Das Einzige, was der theosophischen Sache Eintrag gethan hat, ist der blinde
Eifer von unverständigen Anhängern, welche dieselbe zu verteidigen suchten, ihrer
Phantasie freien Lauf liessen und die übertriebensten Dinge von den Adepten
behaupteten. Dies war aber nicht zu vermeiden, denn in einer Gesellschaft, wo
beinahe jedermann Zutritt hat und jedem das Recht zusteht, seine Meinung, so gut
er kann, zu vertreten, finden sich auch Ansichten aller Art. Die „theosophische
Gesellschaft“ muss nicht mit einer Gesellschaft von fertigen Theosophen verwechselt
werden. Sie ist, sozusagen, ein Erdreich, in welchem die Keime der Selbsterkenntnis
verborgen liegen und aus welchem schliesslich nur verhältnismässig wenige Bäume
wachsen. Wie bei jeder neuauftretenden Reform, so wurden auch hier Nachtvögel aller
Art, Enthusiasten, Schwärmer und Fanatiker durch den Schimmer des neuentzündeten
Lichtes angezogen und mancher vorübergehende Sturm war ihrer Gegenwart zu danken.
Allmählich hat aber die Luft sich geklärt; diejenigen, welche nicht stark
genug waren, das Licht zu ertragen, zogen sich in ihr Dunkel zurück; andere,
welche fanden, dass der Verein keinen Boden zur Ausnutzung selbstsüchtiger oder
politischer Zwecke lieferte, traten aus; die Mehrheit derjenigen dagegen, welche
nach wirklicher Freiheit streben und glauben, dass man durch ein einiges
Zusammenwirken mehr zum Besten der Menschheit wirken könne, als durch vereinzelte
Bestrebungen, kommen herzu, und unter der Leitung von Col. Olcott in Indien,
Mrs. Annie Besant in London und William. Q. Judge in Amerika geht der Verein
seiner Zukunft entgegen.**)
Shakespeare sagt:
„Wenn alles auch der Sonn' entgegenreift, Was bald erblüht, wird frühe
Früchte tragen.“
und die Bhagavad Gita sagt:
„Wer in der grossen Evolution der Welt nicht mitwirkt, der bleibt zurück.“
Der Zweck eines jeden Theosophen ist, Gutes zu wirken; vor allem aber die
dazu nötige Erkenntnis und Kraft zu erlangen. Diese Kraft liegt in dem durch
die Übung der Tugend erlangten höheren Selbstbewusst- sein, und das ist die einzige
wahre Theosophie.
Hinweise
*) New-York. „Sun“. Oktober 1892.
**) Während des Schlusses dieser Nummer erhalten wir die
Nachricht, dass sich auch in Steglitz bei Berlin ein von Dr. Hübbe-Schleiden gegründeter
„theosophischer Verein“ gebildet hat, und wünschen wir demselben guten Erfolg. Dr.
Hübbe-Schleiden ist als der Verfasser mehrerer Werke über deutsch-ostafrikanische
Kolonien und als Redakteur der „Sphinx bekannt. Seine Bestrebungen werden dazu dienen,
den Drang nach einem tieferen „transcendentalen“ Wissen anzuregen, und dadurch
auch den Wunsch nach jener höheren Erleuchtung rege zu machen, welche der
Mensch nicht selber erhaschen kann, die ihm aber zu teil wird, wenn er sich
selbst überwindet.
(Lotusblüten, 1893, Band 1, S. 69-86)
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